Selbsterfahrung – Eine Reise in eine andere Welt – Die Zeremonien

Vor der ersten Zeremonie richtete Geovanny, der Schamane, das Wort an uns und sagte, dass wir unsere gesamte Zeit vor Ort als eine große Zeremonie ansehen sollen. Jede einzelne Zeremonie führt uns dann immer weiter an die Lösung des Problems bzw. des Anliegens, was jeder von uns mitgebracht hat.

Temazcal / Schwitzhütte

Die erste Zeremonie führte mich in die Schwitzhütte, in Süd- und Mittelamerika auch Temazcal genannt. Eine etwa 1,5m hohe und im Durchmesser ca. 8m große Hütte mit einem Loch in der Mitte. Die Schwitzhütte hat einen Eingang, über den man auf den Knien das Innere erreicht. In einem Feuer werden 36 Steine bis zum Glühen erhitzt, die dann später in das Loch in der Mitter der Schwitzhütte gelegt werden.
Vor dem Betreten der Schwitzhütte, stellen wir uns alle um das Feuer auf und Geovanny bläst jedem von uns mit einem kleinen Blasrohr fein gemahlenen Tabak in jedes Nasenloch. Auch wenn Tabak bei jeder Zeremonie eine wichtige Rolle einnimmt, hätte ich lieber darauf verzichtet. Die Tränen steigen mir in die Augen, der Tabak fließt zäh meinen Hals hinunter und mir wird schwindelig. Das ich all das bereits von meiner letzten Reise 2012 kenne, macht es nicht besser. Langsam normalisiert sich alles wieder und wir betreten die Schwitzhütte, zuerst die Frauen, dann die Männer. Wir sitzen im Kreis. Es ist eng. Jeder hat nun die Gelegenheit noch etwas zu sagen, sein Anliegen zu äußern. Dann reicht der Feuerhüter, der draußen über das Feuer wacht, während wir in der Schwitzhütte sitzen, die ersten 9 glühenden Steine hinein. Die erste von 4 Runden beginnt. Jede Runde ist einem Element zugeordnet, Luft, Wasser, Feuer, Erde. Der Eingang wird von außen verschlossen. Es ist jetzt vollständig dunkel. Geovanny kippt nach und nach kaltes Wasser auf die glühenden Steine. Der Dampf ist heißt. Es wird immer wärmer in der Schwitzhütte. Die Enge, die Dunkelheit und die Hitze bringen mich an meine Grenzen. So soll es sein. In dieser und auch jeder noch folgenden Runde ertönen schamanische Gesänge begleitet durch trommeln und rasseln. Wird die Hitze zu groß, legt man sich auf den Boden. Dann ist die erste Runde vorbei. Der Feuerhüter öffnet die Tür. Draußen sind es immer noch gefühlte 35°C, die sich aber nach dieser und auch der noch folgenden Runden, angenehm kühl anfühlen. Nach insgesamt 3-4 Stunden ist die Zeremonie beendet. Alle 36 Steine liegen in dem Loch in der Mitte. Wir verlassen in gleicher Reihenfolge die Schwitzhütte. Zuerst Geovanny, dann die Frauen, dann die Männer.
Die Schwitzhütte symbolisiert den Uterus der Frau, in dem das neue Leben entsteht. Ich bin neu geboren. Wiedereinmal. Die Schwitzhütte hat etwas zu Tage gefördert, was mein persönliches Anliegen betrifft. Ich bin erschöpft, aber auch froh und neugierig, wie sich in der nächsten Zeremonie alles weiterentwickeln wird.

 

San Pedro Medizinwanderung

Es ist Abend. Die Sonne ist bereits untergegangen. Wir treffen uns an der Feuerstelle. Geovanny hat die Medizin mitgebracht, ein aus dem San Pedro Kaktus gekochter, grün-bräunlicher Tee mit bewusstseinsfördernder Wirkung. Ich spreche mein Anliegen und meinen Wunsch für diese Nacht in das mit der Medizin gefüllte Schnapsglas und trinke es aus. Dann gehen wir los.

Unser Weg führt uns einen steilen Hügel am Strand hinauf. Es ist anstrengend und bei nächtlicher Dunkelheit und ohne befestigten Weg, erfordert das Vorankommen einiges an Vertrauen. Auf halber Strecke machen wir ein paar Vertrauensübungen in der Gruppe. Aus irgendeinem Grund werde ich wütend und denke „Ich will jetzt keine albernen Pfandfinderspielchen machen. Ich will Erkenntnisse. Ich will etwas über mich lernen.“, ohne zu bemerken, dass ich schon mittendrin im Lernen bin. Oben angekommen gehen wir ein Stück geradeaus bevor auf der ozeanzugewandten Seite der Abstieg beginnt. Wieder kein befestigter Weg. Ich bin erster in der Gruppe. Vor mir nur noch Katja, Geovannys Frau. Sie ist jemand, den man als Engel beschreiben würde, lieb, achtsam, gütig, mitfühlend. Plötzlich gibt der Sand unter meinen Füßen nach. Ich rutsche weg und kann mich gerade noch mit meinem rechten Arm abstützen. Ein Ziehen in der Schulter. Schmerz. Katja kommt mir zur Hilfe. Sie legt eine Hand auf meine Schulter und macht mit ihrer andere Hand irgendetwas an meinem Arm. Ich kann nicht erkennen was sie macht. Es ist zu dunkel. Plötzlich sind alle Schmerzen weg. Ich weiß nicht, was sie getan hat. Es geht weiter und ich habe auch keine Zeit darüber nachzudenken. Wir erreichen den Strand. Ich denke, „Geschafft. Jetzt nur noch am Strand entlang zurück.“ und sollte mich geirrt haben. Der Weg zurück führte über nasse und glitschige Felsen. Ich rutsche immer wieder weg, habe keinen Halt. Mit jedem Schritt wird meine Wut größer. Irgendwann erreichen wir das Ziel. Während die anderen im nächtlichen Ozean baden gehen, setze ich mich auf einen goßen Ast, der am Strand herumliegt. Irgendwann kommen Geovanny und Jutta, meine Reiseleiterin, zu mir. Ich lasse meine Wut raus. Ich sage, dass ich auf Geovanny wütend bin, wegen dem gefährlichen weg; das ich wütend bin, weil die Medizin nicht gewirkt hat, ich keine Erkenntnisse hatte. Als ich mir Luft gemacht habe, Stille. Dann sagt Geovanny 2-3 kurze Sätze, die alles verändern. Plötzlich erkenne ich, dass die Wut, die Folge der Erkenntnisse ist, die ich tags zuvor in der Schwitzhütte hatte.

 

Ayahuasca

Deswegen bin ich hier. Ayahuasca. Zweimal hatte ich diese aus einer Lianenart und speziellen Blättern gekochte Medizin bereits getrunken und jedesmal war es ein elendig langer, innerer Kampf, teilweise mit mehrfachem Übergeben. Doch jedesmal waren auch die Veränderungen in meinem Leben so unglaublich positiv, einschneidend positiv, grandios und dauerhaft. Und jetzt sitze ich wieder hier, an diesem wunderschönen Pazifikstrand.
Wir sitzen im Kreis um das Feuer und Geovanny geht reihum zu jedem Einzelnen und gießt ihm/ihr die seinem Gefühl nach richtige Menge Ayahuasca in das Schnapsglas. Mein Glas macht er randvoll. Ich spreche meine Intention und meine Bitte in die Medizin und übergebe die Heilung Großmutter Ayahuasca. Dann trinke ich alles aus und lege mich auf meine Decke. „Jetzt gibt es kein zurück mehr“, denke ich. Ich hoffe, dass es nicht so schlimm wird, wie die letzten beiden Male. Aber auch wenn es so sein sollte, nehme ich es in Kauf, weil ich weiß, was mich danach erwartet.
Plötzlich ein angenehmes und leichtes Gefühl in den Beinen. „Wow.“, denke ich „so kann es weiter gehen.“. Zu früh gefreut. Mein Herz beginnt zu rasen. Ich schwitze. Angst kommt hoch. Kenne ich ja schon. Ich bleibe liegen, konzentriere mich auf meine Atmung und lasse die Angst dasein, kämpfe nicht gegen sie an. Dann geht alles ganz schnell. Ich merke, wie mir übel wird. Ich übergebe mich kurz. Dann verschwindet die Angst langsam. Die zweifelnden Gedanken, ob die Angst vielleicht wiederkommt, lasse ich ebenfalls geschehen. Immer wieder bedanke ich mich innerlich, dass ich loslassen konnte. So hatte ich es von Geovanny gelernt. Gleichzeitig sagte ich mir immer wieder „Ich lasse los.“. Ich war bereit die Angst so oft zu empfangen oder mich so oft zu übergeben, wie es notwendig sein sollte. Dann, auf einmal, fühlte sich dieses ‚Ich lasse los.‘ nicht mehr stimmig an und eine innere Stimme sagte zu mir „Sag ‚Ich habe losgelassen.'“ Das war es. Ich sagte es und wusste sofort, es ist vorbei. Ich habe alles losgelassen, was notwendig war. Und in mir wuchs die Erkenntnis, dass, egal wie groß und übermächtig ein Problem subjektiv erscheinen mag, die Lösung trotzdem einfach, leicht und schnell erfolgen kann.
Die Zeremonie war noch nicht vorbei. Irgendwann kam der Zeitpunkt, als Geovanny fragt, wer noch Medizin haben möchte. Wir sollen uns aufsetzen. Ich bemerke, dass ich das nicht kann. Mir ist schwindelig im Sitzen und ich lege mich wieder hin. Ich brauche eh keine Medizin mehr. Das Alte ist gegangen, was auch immer es war. Aber wann kommt das Neue und wie sieht es aus? Ich habe Visionen. Ich sehe ein Auto, dass nicht anspringt. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Je mehr ich es versuche, desto unangenehmer fühlt es sich innerlich an. „Nicht kämpfen.“, denke ich. Irgendwann verschwindet die Visison und lässt sich auch nicht mehr wiederherstellen. „Was hat das nur zu bedeuten?“, denke ich, obwohl ich die Antwort bereits kenne, aber mein kritischer Verstand mischt sich gerade wieder ein. Zeit vergeht. Dann sagt Geovanny zu mir [sinngemäß] „Du hast das Alte losgelassen und bist jetzt wie ein Kind, das neu geboren wurde. Du krabbelst zuerst am Boden und irgendwann kommt der Moment, wo du weißt, dass du aufstehen kannst. Warte einfach ab.“ Ich warte ab. Zwischendurch versuche ich mich hinzusetzen. Es funktioniert immer besser, aber ich muss mich immer wieder hinlegen. Ich denke, „Egal wie lange es dauert. Ich werde das schaffen. Und wenn ich die ganze Nacht hier draußen bin.“. Dann spricht eine innere Stimme zu mir. Sie sagt „Bleibe liegen bis du dich sicher fühlst. Wenn du dich sicher fühlst im Liegen, dann setze dich hin. Bleibe sitzen bis du dich sicher fühlst. Wenn du dich sicher fühlst im Sitzen, dann stelle dich hin. Bleibe stehen bis du dich sicher fühlst. Wenn du dich sicher fühlst im Stehen, dann beginne zu laufen.“. Während ich da lag, sagte ich mir dies immer wieder und erkannte nebenbei, dass sich dieses Zitat auch auf mein ganzes Leben anwenden lässt. Warum will ich immer alle Dinge gleichzeitig oder schnell hintereinander machen? Warum will ich immer so viel Neues beginnen, obwohl Aktualles noch meiner Aufmerksamkeit bedarf? Habe ich Angst, nicht genug zu schaffen? Es ist doch genug Zeit da.
Geovanny bemerkt, dass ich immer wieder versuche mich aufzusetzen und es nicht funktioniert. Er beginnt einen Rhythmus auf seinen Klangstäben zu spielen. Plötzlich bemerke ich, wie ich aufstehe und ein paar Schritte umherlaufe. Ich bin froh, auch wenn ich mich erneut hinlegen muss. Geovanny kommt zu mir herüber. Mit großen Federn streicht er durch mein Energiefeld und über meinen Körper, mal sanft, mal etwas härter. Es bläst Rauch in meine Knie. Es wird kurz heiß und fühlt sich dann angenehm warm an. Irgendwann ist er fertig. Ich habe kein Zeitgefühl. Kurze Zeit später setze ich mich auf. Mir ist noch etwas schwindelig, aber ich konzentriere mich auf meine Atmung. Es geht. Ich bleibe sitzen. Jetzt weiß ich, dass der nächste Schritt, das Aufstehen, auch geht. Wieder vergeht Zeit. Dann beendet Geovanny die Zeremonie und ich stehe auf. Ich packe meine Decke zusammen und gehe, als ob nichts gewesen wäre, in meine Cabana und schlafe sofort ein.

Medizin-Schwitzhütte

Zum Abschluss unserer Arbeit mit den Medizinpflanzen findet noch eine Medizinschwitzhütte statt. Diese Schwitzhüttenzeremonie verläuft prinzipiell genauso, wie die erste Schwitzhütte, nur mit dem Unterschied, dass diese hier die ganze Nacht dauern wird und wir San Pedro und/oder Ayahuasca zusätzlich nehmen können.
Ich entscheide mich aus einem inneren Gefühl heraus, keine Medizin mehr zu nehmen. Ich weiß, dass die Schwitzhütte auch ohne den Einfluß von San Pedro und Ayahuasca eine große Herausforderung für mich ist. Die einzelnen Runden dauern etwas länger und die Pausen zwischen den Runden sind wesentlich länger. So dauert die gesamte Zeremonie diese Nacht ca. 6-7 Stunden. Auch ohne Medizin bin ich am Ende glücklich, dass ich es geschafft habe.

 

Lakota Pfeifenzeremonie

Zur selben Zeit, wie unsere Gruppe, ist auch eine alte Medizinfrau der Lakota aus Nordamerika dort. Ich verbringe einen Tag lang mit ihr. Wir unterhalten uns über viele Dinge, z.b. über den Unterschied von Psychotherapeut und Heiler. Sie erzählt aus ihrem Leben, von ihren Kindern und Enkelkindern, von den Ritualen und Zeremonien der Lakota und vieles mehr. Am Abend darf ich an einer Pfeifenzeremonie teilnehmen, die sie abhält. Sie hat eine lange und sehr alte Pfeife mit verschiedenfarbigen Bändern und Knochenfragmenten dabei. Während sie die Pfeife stopft, singt sie ein Lied, in einer Sprache, die ich noch nie gehört habe. Bevor wir die Pfeife rauchen, spricht jeder von uns ein persönliches Gebet. Über diese Pfeifenzeremonie, mit dieser alten, weisen Medizinfrau, dachte ich danach noch sehr lange nach.

 

Tabak-Zeremonie

Am letzten Abend, quasi als Abschluss der 10 Tage, hält Geovanny noch eine Tabak-Zeremonie mit uns ab. Wieder sitzen wir am Strand um das Feuer. Geovanny stopft eine ca. 40cm lange Pfeife, die zum größten Teil aus einem mit Ornamenten verzierten Mundstück aus Holz besteht. Die Pfeife geht reihum. Jeder nimmt ein paar Züge. Ich übergebe alles, was ich in Ecuador lassen möchte dem Rauch, der in dem Himmel über den Pazifik steigt.

 

Zum dritten Teil

Selbsterfahrung – Eine Reise in eine andere Welt – Die Abreise

1 Kommentar
  1. Winfried Wengenroth
    Winfried Wengenroth sagte:

    Hallo Patrick,

    ein ganz toller Beitrag, cool ist nicht nur, was Du wie geschrieben hast, sondern ich kannte auch noch nicht Ayahuasca – interessantes Wort. Interessanter Wirkstoff. Interessante Möglichkeiten. Wünsche dir dabei viel Erfolg in der nächsten zeit – hätte allerdings schon Furcht vor dem Übel und der aufkommenden Angst. Respekt vor deinem Mut!

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