Tabuthema Kontaktabbruch in der Familie – wenn Eltern und Geschwister zu Fremden werden

Ein Kontaktabbruch zu den Eltern oder den Geschwistern kommt gar nicht so selten vor. Dennoch ist dieses Thema immer noch sehr schambesetzt in unserer Gesellschaft, regelrecht ein Tabuthema. So ist die Familie doch ein Ort der Liebe, der Bindung und der Loyalität. Obendrein gibt es familiäre Verpflichtungen, denen jeder nachkommen "muss". Demnach ist es für die meisten selbstverständlich, einen guten Kontakt zur eigenen Familie zu pflegen. Allerdings ist die Tatsache, dass man mit bestimmten Menschen von Geburt an verbunden ist, noch keine Garantie für Zuneigung, Wertschätzung und Liebe. Im Gegenteil, für viele ist die Familie auch mit negativen Erfahrungen und Emotionen verbunden, sodass manchmal nur die Option des Kontaktabbruchs bleibt.

Ein hochaktuelles und gleichzeitig totgeschwiegenes Thema

Kontaktabbrüche in Familien sind immer hochemotional, überdies haben sie stets eine lange Vorgeschichte. Niemand entscheidet sich von heute auf morgen, einfach mal den Kontakt zu den engsten Menschen in seinem Leben abzubrechen. Dem steht immer ein lange schwelender, innerfamiliärer Konflikt zugrunde, über den größtenteils nicht gesprochen wurde oder die eine der anderen Partei nicht zugehört hat. So ist der Kontaktabbruch am Ende ein Ausdruck der Verzweiflung. Der Kontaktabbrechende befindet sich in einer sehr großen, inneren Not, die aber von der Familie nicht gehört wird beziehungsweise nicht gehört werden möchte. In den meisten Fällen findet der Abbruch in einer Familie frisch statt. Doch es gibt auch die Situationen, dass er seit mehreren Generationen als Familienmuster weitergegeben wird. So gibt es Geheimnisse, Tabus und Themen, über die nicht geredet wird, sie werden unter den Teppich gekehrt und das geschieht über Generationen hinweg. Mit der Zeit wabern sie immer weiter, bis das Maß voll ist und es jemanden in der Familie gibt, der sie endlich an die Oberfläche holt.

Kontaktabbrüche geschehen mehrheitlich aus Selbstschutz

Meist ist der Abbruch der letzte Schritt einer ganzen Reihe von Signalen. Am Ende dient er zum Schutz der eigenen Seele und zur Linderung des eigenen emotionalen Schmerzes. Bis hier hin und nicht weiter, irgendwann kommt bei jedem Menschen der Punkt, an dem er nicht mehr kann. Für die andere Seite, also vorwiegend für die Eltern oder Geschwister – seltener sind es die Kinder – kommt der Bruch oftmals vollkommen unerwartet und überraschend. Eine schwierige Situation!

Zwei nicht übereinstimmende Wahrnehmungen stehen sich gegenüber

Das ist der Kern des Problems. Während die Eltern sich meist schwertun, zu verstehen, warum die Tochter oder der Sohn den Kontakt abgebrochen hat, fühlen sich die Kinder unverstanden. Bei den Eltern taucht immer wieder die Frage nach dem Warum auf. Sie werden immer sagen, dass sie ihr Bestes gegeben haben und das ist für sie auch vollkommen stimmig. Die Kinder allerdings nehmen das anders wahr, fühlen sich zum Beispiel in einer dysfunktionalen Beziehung gefangen, unter Druck gesetzt, ungeliebt oder von zu viel Liebe erstickt. So haben die Kinder aus ihrer Wahrnehmung eben nicht das bekommen, was für sie das Beste gewesen wäre. Sind die Eltern das dann nicht bereit anzuerkennen, was verständlicherweise schwierig ist, fühlen sich die Kinder unverstanden. Manchmal bleibt dann nur der Weg, sich dem engen Kontakt durch einen Kontaktabbruch entziehen. Natürlich gibt es auch Situationen, in denen die Beziehungen so dysfunktional sind, dass ein Fortbestehen eindeutig nicht möglich ist, etwa im Falle von psychischer oder physischer Gewalt.

Eine schwierige Entscheidung

Sind Sie in der Situation, dass Sie überlegen, ob Ihnen der Kontakt zu Ihrer Familie noch guttut, sollten Sie sich zunächst bewusst machen, dass Sie niemanden gegenüber verpflichtet sind. Familiäre Verpflichtungen sind keine Gesetze, jeder muss für sich selbst entscheiden, was und wie viel er seiner Familie gibt. Ausgenommen sind hier natürlich minderjährige Kinder. Sollten Sie sich als ohne den Kontakt zu Ihrer Familie glücklicher, freier und gesünder fühlen, dann ist der Kontraktbruch die richtige Option. Es ist Ihr gutes Recht, für sich selbst einzustehen.